Dieses Osnabrücker Wohnprojekt in Atter pfeift auf Putins Gas

Neue Osnabrücker Zeitung vom 05.10.2021

Gasanschluss? Nicht nötig! Im Landwehrviertel entstehen demnächst 54 Wohnungen, die mit Erd- und Sonnenwärme beheizt werden – und das zu moderaten Preisen, auch für Menschen mit schmalem Geldbeutel. Dahinter stecken einige schlaue Köpfe und eine Genossenschaft. Wie machen die das?

Das Klima schützen und zugleich bezahlbaren Wohnraum schaffen – für die Wohnungs- und Energiegenossenschaft Osnabrück (Wenge-OS) soll das kein Widerspruch sein. Architekt Lutz Igelmann ist überzeugt, dass die Mieter für Wärme und Strom mit 1,50 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche im Monat auskommen werden. Von solchen Preisen konnten viele Menschen schon vor Putins Überfall auf die Ukraine nur träumen, inzwischen sind die Kosten für Energie durch die Decke gegangen.

Bei der Wenge pfeifen sie auf Putins Gas. Die Wärme soll aus der Erde kommen, der Strom überwiegend von der Sonne.

An der Günter-Kittelmann-Straße im Landwehrviertel hat sich die Wenge ein 7300 qm großes Grundstück gesichert. In Kürze sollen der Kaufvertrag unterschrieben und der Bauantrag eingereicht werden. „Wir sind immer noch auf der Zeitschiene“, versichert Lutz Igelmann, der als stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Genossenschaft schon manche Verzögerung erlebt hat. Die ersten Ideen zum Bau eines innovativen Gemeinschaftsquartiers wurden 2013 ausgebrütet. Jetzt läuft es darauf hinaus, ab 2023 zu bauen und ab 2024 zu wohnen.

60 Prozent weniger Energie als ein vergleichbarer Neubau

Beim Wenge-Quartier in Atter soll Beton schon wegen seiner ungünstigen Klimabilanz nur für die Keller und die Treppenhäuser Verwendung finden. Aus diesem Grund werde auch weitgehend auf Stahl verzichtet, kündigt Igelmann an. Für die fünf Gebäude mit insgesamt 54 Wohnungen wird Holz der wichtigste Baustoff sein.

Mit ihrer dicken Isolierung kommen die Außenwände auf einen Durchmesser von 39 Zentimetern. Damit kann der Wohnkomplex den Gebäudestandard KfW 40 Plus erreichen, bei dem der Wärmebedarf 60 Prozent unter dem eines vergleichbaren Neubaus liegt. Das „Plus“ steht zugleich für einen Energieüberschuss durch selbst erzeugten Strom, der gespeichert und zeitversetzt genutzt werden kann. Für diese Bauweise zahlt die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) die höchsten Zuschüsse.

Ihre Heizenergie wollen die genossenschaftlichen Häuslebauer aus 80 Meter Tiefe holen und mit mehreren Wärmepumpen auf kuschelige Raumtemperaturen komprimieren. Den Strom dafür sollen die Solarzellen auf den Dächern liefern, und die Spitzenleistung von 160 kW müsste ausreichen, damit auch für die Haushalte noch etwas abfällt. Und weil nicht immer die Sonne scheint, setzen Igelmann und Co auf Batteriespeicher. Die Akku-Kapazität lasse sich erhöhen, indem mehrere E-Autos angeschlossen würden, vermerkt der Architekt.

Widerspricht das nicht dem Mobilitätskonzept, das sich die Wenge verordnet hat? Ein eigenes Auto brauche niemand, der sich dem Wohnprojekt anschließe, hatte der Genossenschaftsvorstand noch im vergangenen Jahr betont. Und darauf hingewiesen, dass im Mietpreis auch ein Busticket enthalten sei. Für Lutz Igelmann ist das kein Widerspruch. Um private Autos gehe es gar nicht, aber es biete sich an, Gemeinschaftsautos anzuschließen, weil sie als Stromspeicher nützlich seien.

Wer einzieht, muss Mitglied der Genossenschaft sein

Dass steigende Energiepreise das Wohnen im Wenge-Quartier attraktiv machen würden, hatten die Initiatoren schon immer im Blick. Doch seit Putin einen Angriffskrieg angezettelt und die Erdgaslieferungen zunächst gedrosselt und schließlich eingestellt hat, fällt der Genossenschaft eine neue Rolle zu. Ihre Mieter können darauf bauen, dass ihre Heizkosten auch in unsicheren Zeiten im Rahmen bleiben.

Wer in eine der 54 Wohnungen ziehen möchte, muss Mitglied der der Genossenschaft sein und je nach Wohnungsgröße Anteile erwerben. Die werden bei einem späteren Auszug zurückgegeben. Geringverdiener haben die Möglichkeit, sich diese Eigenbeteiligung von der N-Bank vorfinanzieren zu lassen.

Premium-Wohnungen haben edlere Küchen

Von Anfang an hat sich das Wohnprojekt als soziales Unternehmen verstanden. 30 Prozent der Wohnungen sind für Menschen mit geringen Einkommen reserviert, die Preise für weitere 30 Prozent richten sich nach dem Osnabrücker Mietpreisspiegel. So ist es kein Wunder, dass diese beiden Kategorien schon weitgehend ausgebucht sind. Etwas schwerfälliger läuft die Vermietung der Premium-Wohnungen an, die sich durch größere Räume und edlere Küchen auszeichnen.

Weil es bei der Wenge nicht nur auf günstige Nebenkosten, sondern auf das Miteinander ankommt, treffen sich die künftigen Bewohner, so weit sie feststehen, schon regelmäßig, um eine Gemeinschaftsordnung auszuarbeiten. Dabei wurde ausgiebig diskutiert, ab wann Kinder ein Mitspracherecht bekommen. Jetzt ist es entschieden: Ab zwölf Jahren.