Sie ist die Anonymität der Stadt leid

NOZ-Beitrag vom 10.02.2020:

In Osnabrück gibt es eine große Nachfrage nach gemeinschaftlichem Wohnen – und das Angebot?

Osnabrück Seit etwa zehn Jahren lebt Kathrin Bramkamp in einem Acht-Parteien-Haus am Schölerberg. Sie ist alleinerziehend, ihre Zwillinge sind vier Jahre alt. Mit den Nachbarn versteht sie sich sehr gut, sie haben sogar eine eigene Whatsapp-Gruppe, erzählt die 39-Jährige. Doch ihr reicht das nicht. Sie sehnt sich nach mehr Gemeinschaft.

Der Grundgedanke: Kathrin Bramkamp zeigt auf ihren großen Esstisch und sagt: „Schade, dass nicht mehr Leute dransitzen.“ Sie ist zwar kein WG-Typ und möchte weiterhin in einer eigenen Wohnung leben – aber in einem Umfeld, das mehr Austausch zulässt, etwa durch gemeinschaftlich genutzte Räume. Sie findet es absurd, dass in ihrem Haus jeder nur für sich lebt und ihre Kinder nur ihre eigene kleine Lebenswelt kennenlernen.

„Warum kann zum Beispiel nicht einmal die Woche einer für alle kochen?“, fragt sie. Und als die Kinder kürzlich krank waren, hätte sie sich gewünscht, dass jemand aus so einer Gemeinschaft mal kurz auf die beiden aufpasst, damit sie rasch einkaufen gehen kann.

Aus ihrem privaten Umfeld kennt sie einige Gleichgesinnte. Und alle haben dasselbe Problem:


Es gibt in Osnabrück kein entsprechendes Angebot – zumindest noch nicht.

Das Wenge-Projekt im Landwehrviertel: Ende vorigen Jahres erfuhr Kathrin Bramkamp von den Plänen einer Osnabrücker Gruppe, die im Landwehrviertel genau das realisieren will, was sie sich wünscht: Ein genossenschaftliches Wohnprojekt mit 53 Wohnungen und gemeinschaftlich genutzten Räumen. „Wenge“ nennt sich die Initiative, eine Abkürzung für „Wohnungs- und Energie-Genossenschaft Osnabrück i. G.“, wobei das „i. G.“ für „in Gründung“ steht. Seit mittlerweile sechs Jahren stehen die Gründungsmitglieder in Verhandlungen mit der Stadtwerke-Tochter Esos, die die Flächen im Landwehrviertel vermarktet. Rund 100 Namen haben die Gründer auf der Interessentenliste stehen, sagt Gründungsmitglied und Planer Lutz Igelmann.

Das Konzept der Wenge steht: 30 Prozent der Wohnungen sollen an Mieter mit Wohnberechtigungsschein vom Amt zu Kaltmieten in Höhe von rund 7 Euro vergeben werden, erläutert Igelmann – querfinanziert durch die restlichen Wohnungen im mittleren und hochpreisigen Bereich. Geplant ist auch ein in sich geschlossenes Wärme- und Energienetz. Strom wollen sie über Fotovoltaikanlagen selbst erzeugen. Hinzu komme ein ausgefeiltes Mobilitätskonzept mit der Nutzung des Stadtteilautos und einem Fahrradverleih.

Erst schienen die hohen Grundstückskosten ein Hindernis zu sein, dann halbierte die Esos die Fläche im nördlichen Baufeld „B“, das in dem Neubaugebiet genau solchen genossenschaftlichen Wohnprojekten vorbehalten ist, auf rund 7300 Quadratmeter. Dies sollte es kleineren Initiativen ermöglichen, dort ein Wohnprojekt stemmen zu können.

Die Finanzierungszusage durch die Bank stehe, sagt Lutz Igelmann: „Wir warten nur noch auf die Grundstückszusage.“ Doch es ist bereits ein Jahr vergangen, seit die Bewerbungsfrist für das Grundstück abgelaufen ist. Warum geht es nicht voran?

„Wir wären gerne schon viel weiter“, sagt Stadtwerke-Vorstand Christoph Hüls. Ein genossenschaftliches Modell sei für die Stadtwerke aber Neuland. Aktuell gehe es noch um die Frage, wer für die finanziellen Risiken des Projektes einstehe. „Ich glaube an das Projekt und möchte es auch gerne in die Realisierung bringen“, so Hüls. „Wir arbeiten daran, dass wir es in diesem Quartal über die Schwelle heben.“

Die Initiative in Eversburg: Auch im Neubaugebiet Große Eversheide am Eversburger Friedhof tut sich womöglich etwas. Rund 4500 Quadratmeter des fünf Hektar großen Gebietes will die Stadt in Erbbaurecht ebenfalls für gemeinschaftliches Wohnen bereitstellen. In der Februarsitzung wird der Osnabrücker Rat darüber abstimmen. Auch für dieses Gebiet gibt es bereits eine Initiative.

Ebenso wie die Wenge-Gründer ist sie aus einer Projektgruppe hervorgegangen, die die Stadt 2006 beim Osnabrücker Familienbündnis angesiedelt hatte. Ehrenamtlicher Sprecher der Gruppe „Gemeinschaftliches Wohnen“ ist Hans-Jürgen Wilkening. „Alleine leben ist ungesund, gemeinsam leben ist einfach lebendiger“, sagt der 66-jährige Wilkening. Wie viele andere Interessenten wartet er seit Jahren auf die Gelegenheit, in eine gemeinschaftliche Wohnform zu ziehen – und arbeitet daran, dass so ein Projekt zustande kommt. Was früher schon mal geplant war: Vier Standorte hatte die Stadt seinerzeit im Blick, um dort als „Leuchtturmprojekte“ gemeinschaftliches Wohnen zu realisieren. Nur das Landwehrviertel und die Große Eversheide sind übrig geblieben. In den 1990er-Jahren gab es auch mal Ideen für ein Ökodorf, doch auch daraus ist nichts geworden.

Die vor etwas mehr als einem Jahr bei der Stadt eingerichtete Kontaktstelle Wohnraum kann Bürger, die sich für so eine Wohnform interessieren, derzeit nur an bestehende Gruppen vermitteln.

Hans-Jürgen Wilkening ist aktuell aber optimistisch. „Mein Eindruck ist, dass es inzwischen offenere Türen bei Politik und Verwaltung gibt.“ Durch die angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt habe das Thema gemeinschaftliches Wohnen neuen Auftrieb bekommen.

Sandra Dorn